Bericht von der Fortbildungsveranstaltung des Verbandes am 22./23. Juni 2023

Am ersten Tag bestand Gelegenheit zu Diskussion und Austausch in den folgenden Arbeitskreisen:

Abgabenrecht

Der Arbeitskreis Abgabenrecht beschäftigte sich mit unterschiedlichen Fragestellungen des Beitragsrechts sowie des Benutzungsgebührenrechts. Die Teilnehmer diskutierten unter anderem Beispielsfälle aus dem Straßenreinigungsrecht, die sich mit der Einführung flächenbezogener Maßstäbe beschäftigen, insbesondere mit Blick auf „übergroße“ Grundstücke in Ortsrandlage. Außerdem wurde die Bedeutung der Abgrenzung von Erschließungs- und Straßenausbaubeitragsrecht thematisiert. Weiterer Gegenstand des Austausches war die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Beitragsrecht.

Asylrecht

Im Arbeitskreis Asylrecht wurden zunächst herkunftsländerübergreifende Fragestellungen besprochen. Thema war u.a. die Rechtsprechung des EuGH zur Prüfung inländischer Abschiebungshindernisse im Rahmen der Prüfung der Abschiebungsandrohung und die Frage der Europarechtskonformität des § 71a AsylG. Zudem berichteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer u.a. über ihre Erfahrungen mit den jüngsten Änderungen des AsylG (kurzfristige Befangenheitsanträge, § 74 Abs. 3 AsylG; Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, § 77 Abs. 2 AsylG; Einbeziehung neuer Bescheide in das Klageverfahren, § 77 Abs. 4 AsylG) und diskutierten die neuen Regelungen. Zum Abschluss bestand Gelegenheit zum herkunftsländerspezifischen Austausch in Kleingruppen.

Ausländerrecht

Der Arbeitskreis Ausländerrecht setzte sich intensiv mit verschiedenen Themen auseinander, insbesondere mit dem einstweiligen Rechtschutz nach § 123 VwGO in Abgrenzung zu § 80 Abs. 5 VwGO und die Frage der Verfahrensduldungsfähigkeit, Parteiwechsel- und Zuständigkeitsfragen sowie die Neuregelung in § 104c AufenthG und die Rolle von Art. 6 GG bei Ausweisungen. Daneben gab es viele weitere Aspekte, Tipps und Diskussionen, die weit mehr als die angesetzten 1,5 Stunden hätten füllen können.

Baurecht

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wurden aktuelle Fälle vorgestellt und über Teilaspekte derselben gesprochen. Insbesondere ging es um folgende Themen:

– Umfasst § 50 Abs. 2 NBauO auch den Inhalt einer Werbeanlage? (Bsp. Gewaltdarstellung)

– Wer ist für den Umstand der früheren Verfahrensfreiheit i.R.e. § 79 NBauO-Verfahrens darlegungspflichtig?

– Zulässigkeit von Ferienwohnen vor der Einführung von § 13a BauNVO

– „Wirkungsdauer“ von Festsetzungen über nicht überbaubare Grundstücksflächen in B-Plänen, die aufgrund privatrechtlicher Vereinbarungen mit einem früheren Eigentümer eines Grundstücks entstanden sind.

Beamtenrecht

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Arbeitskreises Beamtenrecht tauschten sich über aktuelle Fälle und Themen aus. Ein Schwerpunkt lag auf dem Vergleich der gerichtlichen Arbeitsabläufe im Umgang mit Konkurrentenstreitverfahren. Auf positive Resonanz stieß die Vorgehensweise, der betroffenen Behörde mit der Anforderung der Verwaltungsvorgänge bei Eingang des Verfahrens mitzuteilen, dass dazu der Auswahlvorgang einschließlich der zugrunde gelegten Beurteilungen gehöre. Außerdem bestand die Erfahrung, dass Prozessbevollmächtigte der Antragstellerinnen und Antragsteller in Beförderungsreihen häufig zu einer Begrenzung der Anzahl der Beizuladenden bereit sind.

Polizeirecht

Im Arbeitskreis Polizeirecht wurde, im Anschluss an eine Vorstellungsrunde, die aktuelle Rechtsprechung der ersten Instanz sowie des Nds. OVG im Versammlungsrecht eingehend diskutiert. Des Weiteren tauschten die Kolleginnen und Kollegen wertvolle „Best Practice“ Tipps hinsichtlich des Umgangs mit versammlungsrechtlichen Eilverfahren aus. Fragen zur Feststellung der Gefährlichkeit von Hunden und Wohnungsverweisung waren ebenfalls Gegenstand des Diskurses. Schließlich einigten sich die Teilnehmer darauf, einen E-Mail Verteiler, von dem in der Vergangenheit rege Gebrauch gemacht worden sei, zwischen den mit Versammlungs-, Vereins- und Polizeirecht beschäftigten Senaten und Kammern wiederzubeleben. Ziel solle es sein, in den Rechtsgebieten getroffene (anonymisierte) Entscheidungen von gewisser Bedeutsamkeit untereinander auf schnellem und übersichtlichem Weg zur Verfügung zu stellen.

Standardisierte Arbeitsweise Richter*innen-Serviceeinheit

Der Arbeitskreis „Standardisierte Arbeitsweise Richter*innen-Serviceeinheit“ (kurz: StARS) begann als interaktiver Workshop. Zunächst wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer per Losung in wechselnde Zweiergruppen zusammengeführt. Hierbei lag der Schwerpunkt auf dem Austausch über die örtlichen Arbeitsweisen von Serviceeinheiten und Richtern, insbesondere auf der Formulierung gegenseitiger (eigener und antizipierter) Erwartungen. Die Ergebnisse wurden im Arbeitskreis besprochen und waren Grundlage für die Vorstellung der StARS, wie sie am VG Hannover kammerübergreifend praktiziert wird. Im Rahmen der StARS werden bestimmte Aufgaben nach Absprache und Vereinbarung an die Serviceeinheiten im Wege einer allgemeinen Rücksprache abgegeben. Die Serviceeinheiten erhalten hierdurch mehr Selbständigkeit und einen größeren Verantwortungsbereich, die Richterschaft soll eine Entlastung bekommen. Ziel und Konsequenz der StARS ist, sowohl für die Richterinnen und Richter als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Serviceeinheiten mehr Zufriedenheit und eine bessere, effizientere Zusammenarbeit zu schaffen. Dabei diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch, wie sie die Sinnhaftigkeit und die Vorteile der StARS für ihr eigenes Gericht einschätzten.

Umweltrecht 

Am Arbeitskreis Umweltrecht nahmen Kolleginnen und Kollegen teil, die sich mit dem Immissionsschutzrecht, dem Naturschutzrecht und/oder dem Wasserrecht befassen. Thema war zunächst die (richtige) Ermächtigungsgrundlage für naturschutzrechtliche Wiederherstellungsanordnungen und die Anwendbarkeit des § 3 Abs. 2 BNatSchG bei immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen, wenn nach Erteilung der Genehmigung geschützte Tierarten in den Einflussbereich einwandern. Im Anschluss tauschten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch zum Verhältnis des Amtsermittlungsgrundsatzes zur Klagebegründungsfrist nach § 6 Umweltrechtsbehelfsgesetz und den Erfahrungen mit elektronischen Verwaltungsvorgängen aus. 

 

Am zweiten Tag der Fortbildungsveranstaltung referierten Frau Prof. Dr. Oeberst von der Fernuniversität Hagen und Herr Prof. Dr. Dr. Morell von der Universität Frankfurt a.M. zum Thema „Effekte menschlicher Informationsverarbeitung für die Ergebnisrichtigkeit von Urteilen: Von der «richterlichen Konsistenz» bis zur «Pretrial Publicity» – Rechtsfindung zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit“.

Zum Auftakt beteiligten sich die Kolleginnen und Kollegen online über ihre Smartphones an einer von Herrn Prof. Morell bereitgestellten Umfrage und gaben hier spontan (und mit einem Zeitlimit von 45 min) ihre Einschätzung zu verschiedenen juristischen Fallgestaltungen ab.

Herr Prof. Morell wertete die Antworten im Anschluss daran aus, während Frau Prof. Oeberst zum Einfluss der Medienberichterstattung auf die richterliche Urteilsfindung referierte. Sie sensibilisierte die Zuhörerinnen und Zuhörer für Quellen äußerer Beeinflussung und stellte klar, dass jede gewonnene Information automatisch an die eigenen Vorüberzeugungen angepasst werde. Einzig effektives Mittel zur Reduktion von Entscheidungsfehlern sei, immer auch Argumente gegen die eigene Einschätzung zu suchen.

Daran anschließend analysierte Herr Prof. Morell die richterliche Urteilsfindung am Beispiel der zuvor durchgeführten Fallstudie. Er stellte u.a. die Bedeutung der Herstellung von Konsistenzen (inkonsistente Information finde kaum Berücksichtigung), des Ankereffekts und von Rückschaufehlern (im Rückblick werde die Vorhersehbarkeit eines Ereignisses überschätzt) dar. Die einzelnen Aspekte verdeutlichte er anhand der zuvor gewonnen Umfrageergebnisse („Sie sind… interessant!“ – „Diskriminierung in Königslutter!“).

Beim Publikum lösten Frau Prof. Oeberst und Herr Prof. Morell auf humorvolle Weise ganz sicher den einen oder anderen Aha-Effekt aus und animierten dazu, die eigene Urteilsfindung auch künftig kritisch zu hinterfragen.