Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Rechts der richterlichen Mitbestimmung und zur Stärkung der Neutralität der Justiz

Osnabrück, 29. April 2019

Sehr geehrte Damen und Herren,

für die dem VNVR durch Schreiben vom 8. März 2019 eingeräumte Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Rechts der richterlichen Mitbestimmung und zur Stärkung der Neutralität der Justiz danke ich Ihnen. Der VNVR begrüßt ausdrücklich die geplanten Neuregelungen in ihrer Gesamtheit, sieht indes zu einzelnen Regelungen die Notwendigkeit zu rechtlichen, teilweise auch praktischen Anmerkungen:

Zu Art. 1 Ziffer 3 – Änderung des § 6 NRiG

Es bestehen Bedenken, ob die geplante Regelung in § 6 Abs. 2 NRiG-Entwurf nicht altersdiskriminierend deswegen ist, weil das „Freijahr“ mit der Vollendung des 59. Lebensjahres enden muss. Rechtlicher Bezugspunkt sind insoweit die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16) als auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897) – mit dem die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt worden ist -, zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 3. April 2013 (BGBl. I S. 6105).

Die geplante Neuregelung bedeutet, dass ältere Beschäftigte von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen können, und zwar schon ab dem Lebensalter von 58 Jahren, weil sie die notwendige „Ansparzeit“ (mindestens 6 Monate) nicht mehr ableisten können. Insoweit heißt es in der Gesetzesbegründung: „… d.h. … Richter sind ausnahmslos vorleistungspflichtig“. Damit begründet diese innerstaatliche Regelung eine Ungleichbehandlung wegen des Alters im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78.
Zweifel bestehen, ob diese Regelung als eine solche angesehen werden kann, die dem Ziel, die Einsatzbereitschaft und das ordnungsgemäße Funktionieren der Justiz zu gewährleisten, das einen rechtmäßigen Zweck im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, dient. Ferner bestehen Bedenken, ob sie angemessen ist und zum anderen nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
Der mögliche Einwand, für diese Gruppe gebe es die Altersteilzeit nach § 6 Abs. 2 NRiG, überzeugt in diesem Zusammenhang nicht. Denn das Altersteilzeitmodell ist in Niedersachsen nur als (echte) Teilzeit, also 60 vom Hundert der täglichen Arbeitszeit, nicht aber als „Blockmodell“ mit Teilfreistellung (beispielsweise von 5 Jahren Altersteilzeit 3 Jahre vollzeitige Beschäftigung mit geringeren Bezügen und anschließend 2 Jahre Freistellungsphase) möglich.

Zu Art. 2 Ziffer 1 – Änderung des NJG – Neutralität

Die Einführung einer ausdrücklichen Neutralitätspflicht im Dienst als Kernstück des Gesetzentwurfes wird ausdrücklich begrüßt. Die geplante Regelung steht in Übereinstimmung mit der aktuellen verfassungsrechtlichen Rechtsprechung, etwa des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 27. Juni 2017, – 2 BvR 1333/17 -, juris) oder des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (Entscheidung vom 14. März 2019, Vf. 3-VII-18, juris). Die in letztgenannter Entscheidung gemachten grundrechtlichen Ausführungen und insbesondere diejenigen zur staatlichen Neutralitätspflicht macht sich der VNVR zu eigen, ohne sie hier umfassend wiederholen zu wollen. Die geplante Regelung ist im Übrigen hinreichend bestimmt und genügt den rechtsstaatlichen Anforderungen.
Sie ist insbesondere für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit auch dringend erforderlich, um etwa im Bereich des Asylrechts oder bei Relevanz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, aber auch der Meinungsäußerungsfreiheit, durch die zahlreiche Verwaltungsprozesse geprägt sind, ein neutrales Auftreten ausnahmslos zu gewährleisten.
Religiöse, weltanschauliche und politische Neutralität sind indes nach diesseitiger Ansicht ein Strukturprinzip des Grundgesetzes und der Niedersächsischen Verfassung (BVerfG, a.a.O.). Auch die sachliche Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter ist über Art. 51 Abs. 4 NV hinaus „Teilkonkretisierung“ des Prinzips der Gewaltenteilung und zählt parallel dazu zu den grundlegenden Strukturprinzipien des Grundgesetzes (Epping/Butzer/Brosius-Gersdorf/Haltern/Mehde/Waechter, Hannoverscher Kommentar zur Niedersächsischen Verfassung, Baden-Baden 2012, Art. 51, Rn. 39). Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand muss eine innere Einstellung und Haltung der Richterinnen und Richter sein, die unabhängig davon ist, ob eine Amtshandlung – wie der Gesetzentwurf von seinem Anwendungsbereich her durch die Beschränkung auf Verhandlungen oder wahrnehmbare Amtshandlungen eingeschränkt – die richterliche Tätigkeit als solche prägen muss. Wesentliches Kennzeichen der Rechtsprechung im Sinne des Grundgesetzes und der Niedersächsischen Verfassung ist, dass die richterliche Tätigkeit von einem „nicht beteiligten Dritten“ ausgeübt wird (BVerfG, a.a.O.). Es ist schlechterdings nicht vorstellbar, dass eine Richterin oder ein Richter durch sichtbare Symbole oder Kleidungsstücke während der Dienstzeit religiöse, weltanschauliche oder politische Überzeugungen zum Ausdruck bringt, und diese dann alleine bei Verhandlungen oder Amtshandlungen ab- und gleichsam die Robe anlegt. Neutralität ist kein „ablegbarer Mantel“ in diesem Sinne. Die geplante Regelung erscheint daher eher als zu eng gefasst, auch wenn ich sie als Mindestkonsens ausdrücklich begrüße.

Mit herzlichem Gruß

Dr. Gert Armin Neuhäuser
Vizepräsident des Verwaltungsgerichts