Stellungnahme zum Entwurf einer Niedersächsischen Beihilfeverordnung

Sehr geehrte Damen und Herren,

bevor ich auf die Sache selbst eingehe, gestatten Sie mir den Hinweis darauf, dass die eingeräumte Frist zur Abgabe der Stellungnahme von weniger als drei Wochen völlig unzureichend war, zumal gut die Hälfte der Zeit in die Herbstferien fiel. Bedenken Sie bitte, dass vor Erarbeitung einer Stellungnahme die Verbandsmitglieder informiert werden müssen und ihnen Gelegenheit zur Äußerung zu geben ist. Schließlich muss bedacht werden, dass der mit der Stellungnahme verbundene Arbeitsaufwand zusätzlich zu den Dienstgeschäften in der Freizeit zu erledigen ist.

Der Verband der niedersächsischen Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter begrüßt es, dass nunmehr auch in Niedersachsen die Vorgabe des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Urteil vom 17. Juni 2004 umgesetzt werden soll und zukünftig der Umfang der Beihilfe in Krankheits-, Pflege-und Geburtsfällen nicht mehr durch eine Verwaltungsvorschrift, sondern durch eine Verordnung auf der Grundlage eines Parlamentsgesetzes bestimmt wird. Bedauerlich ist jedoch, dass mit dem Entwurf der NBhVO die in den letzten Jahren vorgenommenen Einschränkungen der Beihilfeleistungen fortgeschrieben und in Einzelfragen sogar noch ausgeweitet werden. Diese Verschlechterungen sind zum überwiegenden Teil darin begründet, dass nach dem erklärten Willen des Landes, die in der gesetzlichen Krankenversicherung vorgenommenen Einschränkungen auf Beamte und Richter übertragen werden sollen. Die dahinter stehende Überlegung ist aber schon im Ansatz falsch, weil sie die grundlegenden und systematischen Unterschiede zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und der Beihilfe für Beamte und Richter verkennt: Die gesetzliche Krankenversicherung beruht auf den Einzahlungen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und kann nur verteilen, was sie eingenommen hat. Daraus erklärbare Leistungsverschlechterungen kommen daher der Solidargemeinschaft zugute. Die Beihilfe für Beamte und Richter ist demgegenüber ohnehin nur ein anteiliger Zuschuss des Staates, der die im Grundsatz von den Betroffenen selbst aus ihrer Besoldung zu bestreitenden Kosten für den eigenen Schutz in Krankheits-, Pflege-und Geburtsfällen ergänzt. Fern ab jeder Realität ist die Vorstellung, die Beihilfestellen stünden in Konkurrenz zu den Krankenversiche­rungen. Es ist daher nicht überzeugend, wenn in der Begründung zum NBhVO-E eine Anpas­sung an die Vorschriften des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung für nötig erachtet wird. Wie fragwürdig die Übertragung von Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung in das Beihilferecht ist, zeigt sich auch bei der „Praxisgebühr“: Während diese in der gesetzlichen Krankenversicherung den Ärzten zugute kommt, wird sie nach § 48 Abs. 4 NBhVO-E von dem Land selbst vereinnahmt.

Im Einzelnen wird angemerkt:

Zu § 2 (Aufwendungen von berücksichtigungsfähigen Angehörigen bei eingeschränkter Versicherbarkeit des Kostenrisikos und bei wechselnder Einkommenshöhe)

§ 2 Abs. 1 NBhVO-E ist missverständlich formuliert. Die Vorschrift liest sich so, als wollte der Normgeber chronisch kranke Angehörige (wegen angeborener Leiden oder bestimmter Krankheiten) von vornherein von jeder Beihilfe ausschließen, indem dort nur ein einziger Ausnahmefall genannt wird, in welchem dieser Ausschluss nicht gilt (Aussteuerung bereits vor Inkrafttreten der NBhVO). Gemeint ist (nach der Begründung) wohl aber, dass für solche Angehörige trotz Überschreitens der Grenze von 18.000 Euro Jahreseinkommen (vgl. § 80 Abs. 3 Sätze 2 u. 3 NBG) ein Beihilfeanspruch bestehen soll. Die Vorschrift könnte daher lauten:

„In Ergänzung zu § 80 Abs. 3 Sätze 2 und 3 NBG wird zu den Aufwendungen der Ehegatten, des Ehegatten, der Lebenspartnerin oder des Lebenspartners, deren Gesamtbetrag der Ein­künfte im zweiten Kalenderjahr vor Stellung des Beihilfeantrages 18.000 Euro überstiegen hat, Beihilfe gewährt, wenn …“

Zu § 4 (Grundsätze der Beihilfefähigkeit)

Absätze 2 und 3:

Die Normstruktur der hier vorgesehenen Regelungen ist nicht verständlich und entspricht nicht der zu § 4 Abs. 3 NBhVO-E gegebenen Begründung. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 NBhVO-E sind die dem Grunde nach medizinisch notwendigen und der Höhe nach angemessenen Auf­wendungen beihilfefähig. § 4 Abs. 3 NBhVO-E bestimmt, dass „abweichend von Absatz 2“ Aufwendungen „ausnahmsweise“ beihilfefähig sind, soweit die Verordnung die Beihilfefähig­keit vorsieht oder die Ablehnung der Beihilfe im Hinblick auf die Fürsorgepflicht nach § 45 BeamtStG eine besondere Härte darstellt. Welche Aufwendungen damit gemeint sein könnten bleibt unklar, wenn alle medizinisch notwendigen und der Höhe nach angemessenen Aufwen­dungen bereits nach Abs. 2 beihilfefähig sind. Sollte sich die ausnahmsweise mögliche Ge­währung von Beihilfe auf die in den folgenden Vorschriften vorgesehenen Beschränkungen bzw. Ausschlüsse der Beihilfefähigkeit beziehen, wie es in der Begründung zu § 4 Abs. 3 NBhVO-E anklingt, so kommt dies in der Norm nicht zum Ausdruck. Gleiches gilt, soweit die Regelungen entsprechend der Begründung zu § 4 Abs. 3 NBhVO-E den bislang geltenden Grundsatz umkehren sollen, wonach Aufwendungen beihilfefähig waren, solange sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurden.

Weiterhin bleibt unklar, wann eine Ablehnung der Beihilfe im Hinblick auf die Fürsorgepflicht „eine besondere Härte“ darstellt. Zwar ist das Anliegen, im Einzelfall eine Beihilfe unabhängig von den normierten Leistungstatbeständen gewähren zu können, zu begrüßen. Wann dies zulässig sein soll und vor allem vom Beihilfeberechtigten verlässlich beansprucht werden kann, wird aber nicht hinreichend deutlich. Ein unbestimmter Rechtsbegriff dieser Weite erschwert nicht nur die Rechtsanwendung, sondern schafft für die betroffenen Beihilfeberechtigten Rechtsunsicherheit, die in dem zentralen Bereich der Absicherung im Krankheitsfall insbesondere mit Blick auf die häufig anfallenden erheblichen Kosten nicht vertretbar ist. Dies gilt umso mehr, sofern das Ziel der Umkehrung des Grundsatzes, nach dem bisher Aufwendungen beihilfefähig waren, solange sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurden, im Normset­zungsverfahren weiter verfolgt werden sollte. Angesichts der möglichen Reichweite einer Umkehrung dieses Grundsatzes muss gerade dann für die Betroffenen absehbar sein, in welchen Ausnahmefällen dennoch eine Beihilfegewährung erfolgen wird.

Absatz 2 Satz 5:

Eine Regelung dazu, unter welchen Voraussetzungen den Schwellenwert überschreitende Ge­bühren beihilferechtlich als angemessen anzusehen sind, ist entbehrlich. Insoweit ist der in Ab­satz 2 Satz 3 enthaltene Verweis auf die einschlägigen Gebührenordnungen (GOÄ, GOZ und GOP) völlig ausreichend. Diese Gebührenordnungen regeln ihrerseits, unter welchen Voraus­setzungen die jeweiligen Behandler von ihren Patienten den Schwellenwert überschreitende Gebühren verlangen können. Dies sollte – wie bisher – auch für die beihilferechtliche Anerkennung maßgeblich sein. Eigenständige Regelungen in der Beihilfeverordnung bergen die Gefahr, dass die gebührenrechtliche und die beihilferechtliche Anerkennung von Schwellenwertüberschreitungen unterschiedlich beurteilt wird. Dies könnte dazu führen, dass der Beamte oder Richter seinem Arzt die erhöhte Gebühr schuldet, sie aber nicht als beihilfefähig anerkannt werden kann.

Absatz 4:

Nach § 4 Abs. 4 NBhVO-E können mit Leistungserbringern Verträge über Beihilfeangelegenheiten abgeschlossen werden, wenn dies im Interesse einer wirtschaftlicheren Krankenfürsorge liegt. Dabei können auch feste Preise vereinbart werden, die unter den maßgeblichen Gebührensätzen liegen. Nach der Begründung bleibt das Recht auf freie Arztwahl unberührt. Zur Vermeidung von Missverständnissen ist dieses Recht in den verfügenden Teil der Verordnung aufzunehmen.

Zu § 5 (Verweisungen auf das Sozialgesetzbuch)

Zu begrüßen ist, dass nach der Begründung zu § 5 Satz 2 NBhVO-E sog. Kettenverweisungen auf Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses und ähnliche Maßgaben nicht erfolgen sollen. Allerdings bringt der Wortlaut der Verordnung dies in § 5 NBhVO-E ebenso wenig zum Ausdruck wie den Umstand, dass eine dynamische Verweisung, die zu Recht als unzulässig angesehen wird, nicht gewollt ist. Insoweit besteht Nachbesserungsbedarf. Unabhängig davon wird die beschriebene Zielsetzung faktisch dadurch unterlaufen, dass sich die Beihilfegewährung nach dem vorgesehenen Verordnungstext an den in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses und ähnlichen Maßgaben „festgelegten Grundsät­zen“ „orientiert“. In der Praxis lässt die unscharfe Bezugnahme auf „Grundsätze“ der nament­lich bezeichneten Bestimmungen befürchten, dass etwa die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses eben doch in ihrer jeweils aktuell geltenden Fassung ohne Weiteres von den Beihilfestellen für die Beihilfegewährung herangezogen werden, da nicht erkennbar wird, wie weit die Bezugnahme, bei der es sich zudem nur um eine „Orientierung“ handeln soll, konkret reichen soll. Probleme in der praktischen Anwendung dieser Bestimmungen sind vor­gezeichnet. Die Norm des § 5 Satz 3 NBhVO-E, nach der bei der Orientierung an den Grundsätzen etwa der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Fürsorgegrundsatz und die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Beihilfe- und Sozialversicherungsrecht zu berücksichtigen sind, vermag dieses Defizit nicht auszugleichen. Denn der Normtext ist seinerseits unklar und enthält keine in der Praxis handhabbare Konkretisierung. Enthält sich der Verordnungsgeber der näheren Bestimmung, in welchen Fällen die Maßgaben der gesetzlichen Krankenversicherung wegen der zutreffend erkannten strukturellen Unterschiede der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits und der Beihilfegewährung andererseits gerade nicht in vollem Umfang übertragen werden dürfen, bleibt unklar, wie die Beihilfestellen in der täglichen Rechtsanwendung die gebotene Abgrenzung vornehmen sollen. Dies ist mit dem Ziel der Verordnung, die Verständlichkeit und Übersichtlichkeit der Beihilfegewährung zu erhöhen, nicht vereinbar. Zu befürchten steht, dass die Beihilfeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Rechtsmitteln angewiesen sein werden, um gebotene Abweichungen von den für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden Maßgaben durchzusetzen, was nicht im wohlverstandenen Interesse des Normgebers liegen kann und für die Beihilfeberechtigten zu unzuträglichen Rechtsunsicherheiten und Belastungen führt.

Zu § 6 (Ausschluss der Beihilfefähigkeit)

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 NBhVO-E sind Behandlungen als Folge einer medizinisch nicht indizierten ästhetischen Operation, Tätowierung oder eines Piercings nicht beihilfefähig. Nach der Begründung zu § 6 Abs. 1 NBhVO-E soll jedoch ausnahmsweise aus Gründen der Fürsorge Beihilfe zu diesen Aufwendungen gewährt werden können, wenn diese im Einzelfall die finanziellen Möglichkeiten des oder der Beihilfeberechtigten übersteigen. Um diese zu begrüßende, aber lediglich in der Begründung zu findende Möglichkeit der Beihilfegewährung nicht am Wortlaut der Verordnung scheitern zu lassen, ist der Verordnungstext entsprechend anzupassen.

Zu § 22 (Hilfsmittel)

Nach Abs. 2 S. 1 NBhVO-E sind u.a. Hilfsmittel, die einen geringen Abgabepreis haben, nicht beihilfefähig. Die Regelung wird zu Rechtsunsicherheit führen, da unklar ist, was unter einem „geringen Abgabepreis“ zu verstehen ist. Auch ein Rückschluss aus der Liste der Hilfsmittel in Anlage 7 ist nicht möglich, da dort neben Hilfsmitteln, die einen geringen Abgabepreis aufweisen, auch solche aufgezählt sind, die der allgemeinen Lebenshaltung zuzurechnen sind. Auch zur Vermeidung divergierender gerichtlicher Entscheidungen dürfte die Regelung eines konkreten Betrages vorzuziehen sein.

Zu § 23 (Krankenhausleistungen)

Es sollte jedenfalls in den Verwaltungsvorschriften klargestellt werden, dass es wegen der Abrechnung nach Fallpauschalen für den Beihilfeberechtigten nicht erforderlich ist, von den Krankenhäusern getrennte Rechnungen für Grund-und Wahlleistungen anzufordern, wie es bisher nötig war. Wurde nämlich bisher eine einzige Rechnung eingereicht, die auch Wahlleistungen des Krankenhauses (z. B. Zwei-oder Ein-Bettzimmer) enthielt, wurde von der Festsetzungsstelle häufig gar nichts als beihilfefähig anerkannt. Das sollte mit der Einsortierung der erbrachten Leistung des Krankenhauses in die Abrechnung nach Fallpauschalen ein Ende haben, indem nämlich jedenfalls dieser Pauschalbetrag als beihilfefähig anerkannt wird.

Zu § 28 (Fahrtkosten)

Die in §§ 28 Abs. 4, 32 Abs. 1 NBhVO-E vorgesehenen Regelungen, nach der Fahrtkosten in Höhe von 0,20 Euro je Entfernungskilometer beihilfefähig sind, sind dringend korrekturbedürf­tig. Die tatsächlichen Kosten für Fahrten mit einem Pkw der Mittelklasse betragen bereits mehr als das Vierfache. Außerdem muss davon ausgegangen werden, dass es sich um ein Versehen handelt und die Regelung tatsächlich so nicht gewollt ist. Denn nach der Begründung sollte die „kleine Wegstreckenentschädigung“ des Reisekostenrechts übernommen werden. Diese beträgt aber nach 5 Abs. 1 BRKG „20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke“ (nicht je Entfernungskilometer).

Zu § 29 (Unterkunftskosten)

Der für eine Unterkunft vorgesehene Betrag in Höhe von 26 Euro ist unrealistisch niedrig. Er lässt sich auch nicht mit einer gegenzurechnenden Ersparnis rechtfertigen, weil die Unterkunftskosten in aller Regel weiter anfallen.

Zu § 48 (Eigenbehalte)

Nach § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 NBhVO-E mindern sich die beihilfefähigen Aufwendungen um zehn Prozent der Kosten, mindestens um 5 und höchstens um 10 Euro für Fahrten. Als Begründung wird angegeben, dass eine kostenbewusste Inanspruchnahme der beihilferelevanten Dienstleistungen und die Erzielung von Steuerungseffekten angestrebt wird. Von der vorgesehenen Regelung sind jedoch auch Rettungsfahrten nach § 28 Abs. 1 NBhVO-E erfasst. Das genannte Ziel des Verordnungsgebers kann jedoch bei Rettungsfahrten nicht Leitlinie der Verordnung sein. Dies ergibt sich schon aus der Begründung zu § 28 NBhVO-E, wonach selbstverständlich die Aufwendungen für Rettungsfahrten nach einem Unfall beihilfefähig sind. Naturgemäß sind Rettungsfahrten nach einem Unfall also nicht einer kostenbewussten Inanspruchnahme durch Steuerungseffekte zugänglich. Eine Rettungsfahrt nach einem Unfall wird angefordert werden, wenn der Beihilfeberechtigte sie für sich oder einen beihilfeberechtigten Angehörigen für erfor­derlich hält. Dass in diesem angenommenen Notfall ein Steuerungseffekt durch einen Eigenbe­halt von 10 Euro erzielt werden kann, ist lebensfremd und der Situation auch nicht angemes­sen.

Zu § 50 (Bewilligungsverfahren)

Absatz 5:

Die hier vorgesehene Vernichtung der Belege (Begr. S. 52) dürfte zu schwerwiegenden Beweisproblemen bei Prozessen führen. Erfahrungsgemäß vernichten nämlich auch die privaten Krankenversicherungen die Belege, so dass der Berechtigte dann nichts mehr in der Hand hat. Jedenfalls sollte zwingend vorgeschrieben werden, mit der Vernichtung eineinhalb Jahre nach Bestandskraft des betreffenden Beihilfebescheides zu warten.

Absatz 7

In Satz 2 dürfte nicht die dreijährige Verjährung, sondern die einjährige Verfristung im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 NBhVO-E gemeint sein. Dieser Wortlaut sollte unbedingt geändert werden.

Mit freundlichen Grüßen

Müller-Fritzsche

Stellungnahme im Vollstext als Download (PDF)